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Ich wollte nie eine Konstruktivistin sein!
Verschollene (Collagen von Hannah Höch)
Kunstverein Pforzheim
2021


Mit Arbeiten von Patricia Bucher, Janusz Czech, Heike Gallmeier, Haus am Gern, Thomas Hirschhorn, Sofia Hultén, Isa Melsheimer, Christine Rusche, Martin G. Schicht, Felix Schramm, Jaro Straub, Albert Weis



Zur Ausstellungskuration

Zu der von Martin G. Schicht und Jaro Straub kuratierten Ausstellung zum 60-jährigen Jubiläum des Reuchlinhauseses und des darin befindlichen Kunstvereins wurden international tätige Künstler*innen eingeladen, eine verschollene Collage von Hannah Höch neu zu interpretieren. Das Konzept war mit anderen Schwerpunkten bereits zuvor realisiert worden (u.a.Kunsthalle Memmingen, Shedhalle Zürich).

Im Nachlass der Berliner Künstlerin Hannah Höch (1889–1978) befindet sich ein Konvolut von Schwarz/Weiss-Fotografien verschollener Collagen. Hannah Höch soll mit Hilfe dieser Abbildungen in einem gegenwärtigen Kontext thematisiert werden. Dazu werden Künstler*innen eingeladen, sich auf eine konkrete Spurensuche zu begeben und anhand einer ausgewählten verschollenen Collage eine neue Arbeit entlang der eigenen Arbeitsstruktur zu entwickeln. Mit der Ausstellung im Reuchlinhaus Pforzheim wird zugleich die Beziehung von Hannah Höch zu den Architekturen von Mies van der Rohe und Hans Scharoun sowie deren Assistenten Chen Kuen Lee und Manfred Lehmbruck untersucht, zu denen Höch in einer jeweils spezifischen Beziehung stand. Letzterer hat das Reuchlinhaus gebaut. Die ausstellenden Künstler*innen integrieren in ihre Arbeiten dieses produktive Spannungsfeld unterschiedlicher Raumbegriffe, das sich innerhalb der modernistischen Skala von konstruktivrationaler bis integrativ-organischer Architektur auftut. Die Zukunftsvisionen, die in der Architektur der Nachkriegsmoderne lagen, werden mit einer Befragung der Zukunft des 21. Jahrhunderts durch die Künstler*innen fortgeführt.




Zu den einzelnen Arbeiten von Martin G. Schicht

o .T. ( Boden | Decke)

Hannah Höch war als „Poststelle der Avantgarde in Berlin“ im Besitz vieler Kunstwerke Ihrer Kolleg*innen zum Zeitpunkt der Machtergreifung der Nazis. Sie blieb in Berlin und wurde von den Nazis als „entartete Künstlerin“ diffamiert. Ihr Kunstbesitz war lebensgefährlich. Zu ihrer eigenen Sicherheit vergrub sie die Arbeiten in ihrem Garten. Zudem bot dieser opulent gestalteter Garten Schutz vor Einsicht in ihre Künstlertätigkeit.

Im Vordergrund ist ein Deckensegment aus der Architektur entfernt. Genau darunter befindet sich in gleicher Form und Grösse ausgelegte Erde aus dem Garten vom Hannah-Höch-Haus in Berlin. Damit wird die Architektur des Reuchlinhauses mit einer ungewohnten Innenansicht zugänglich. Die Architektur wird thematisiert. Gleichzeitig wird ein Bezug zum Haus und Garten von Hannah Höch hergestellt.


Reartefaktung Merzbau

Der Merzbau von Kurt Schwitters wucherte durch die Räume seines Hauses in Hannover. Kurt Schwitters musste Deutschland verlassen, kam in Gefangenshaft und starb bereits wenige Jahre nach dem Krieg. Hannover wurde bombardiert und das Haus samt Merzbau ging in Flammen auf. Heute steht an der Stelle ein neues Haus. Doch der Garten ist noch vorhanden.

In der Annahme, dass partikuläre Reste des Merzbaus in der Erde des Gartens sein könnten, wurde diese dem Garten entnommen. Holzkohle kann in Erde sehr lange haltbar sein. Tatsächlich wird mit dem Verkohlen von Holz dieses in der Erde haltbar gemacht vor Parasiten und Fäulnis.

Eine typische Grundform des Merzbaus ist das spitz zulaufende Dreieck. Ein solches ist aus Holz gefertigt und anschliessend im Feuer verkohlt. Dieses wurde mit der befeuchteten Erde aus dem Garten in Hannover bestrichen. Damit ist das Objekt konserviert für eine maximale Haltbarkeit.


Zeitkapsel Reuchlinhaus

Die Ausstellung wurde am 22.10.21 zum 60-jährigen Jubiläum des Reuchlinhauses eröffnet. Dieses gilt in Süddeutschland als eine Ikone der Nachkriegsmoderne. Im Laufe der Ausstellungsvorbereitung war mir aufgefallen, dass das Reuchlinhaus keine Zeitkapsel hat. Daher habe ich für die Ausstellung eine Modell einer Zeitkapsel entwickelt. Das Modell von der Zeitkapsel von 2021 für das Reuchlinhaus beinhaltet zwei Teile:

a Eine Kunstbatterie: Hannah Höch und Kurt Schwitters waren sehr gut befreudet und standen jahrelang in sehr regem, künstlerischen Austausch. Die Erde aus dem Garten von Hannah Höch und die Erde aus dem Garten von Kurt Schwitters sind nebeneinander geschüttet und durch einen Goldsteg getrennt. Die Batterie wird aktiviert, indem man den Goldsteg herausnimmt und die Erden sich mischen.

b 2022 werden im Zuge eines öffentlichen, demokratischen Prozesses mit den Bürgern der Stadt Artefakte ihrer Wahl eingelegt.

Die Einlegung der Zeitkapsel erfolgt genau ein Jahr nach der Eröffnung am 22.10.22.